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Piraten: Auch wir brauchen eine praktische Ethik

Publiziert am von Tobias Opitz

In den letzten Tagen stürmte es wieder über alle Kanäle auf mich ein: „Zoff bei den Piraten“. Meine Timeline bei Twitter ist verstopft mit Empörung, Schadenfreunde und Polemik. Die „traditionellen“ Medien laben sich an einem gefunden Fressen … und wir machen fröhlich weiter, ohne jemals Konsequenzen zu ziehen. Lehrgeld haben wir mittlerweile, glaube ich, genug gezahlt. Es ist an der Zeit auch etwas zu lernen.

Eines möchte ich vorweg schicken: Lenz Jacobsen hat völlig recht, wenn er schreibt, dass uns die Machtkämpfe genauso im Griff haben, wie die etablierten Parteien. Das ist nun einmal menschlich. Noch so hehre Ziele werden daran nichts ändern. Das ist aber auch nichts schlimmes. Diese Machtkämpfe werden an nahezu allen Orten ausgetragen, an denen Menschen miteinander interagieren. Also nicht nur innerparteilich, sondern auch im Zusammenspiel mit den anderen Parteien. Je mehr Erfahrung wir damit haben, desto eher können wir uns behaupten. Auch wenn wir uns etwas anderes wünschen, diese Fähigkeiten brauchen wir.

Unser Problem in dieser Angelegenheit ist aber gleichzeitig auch unsere größte Stärke: Transparenz. Und davon dürfen wir auch keinen Fall abrücken. Nur diese Transparenz schützt uns davor auf die gleiche Weise abzugleiten wie die anderen Parteien.

Transparenz bedeutet in erster Linie Nachvollziehbarkeit. Es bedeutet, dass ich um die Beziehung der auf der politischen Bühne Agierenden untereinander weis und daher einschätzen kann, warum eine Entscheidung getroffen wurde. Daraus kann ich dann ableiten, ob die betreffende Person weiterhin meine Unterstützung hat oder nicht.

Trotz aller Unkenrufe dürfen wir uns nicht darauf einlassen mit der persönlichen Meinung hinter dem Berg zu halten. Der einzelne muss als die Person wahrgenommen werden, die er oder sie nun einmal ist. Denn letztendlich wird alle politisch relevanten Entscheidungen die echte Persönlichkeit treffen und nicht die für Auswirkung konzipierte Maske. Wer das berücksichtigt und von seinen Motiven überzeugt ist, der wird auch Unterstützer finden, die ihm oder ihr den Rücken decken. Wer aber mit einer Fassade auf Fischzug geht, steht sehr schnell alleine da, wenn diese Risse bekommt.

Worauf ich aber eigentlich hinaus will ist folgendes: Es kommt nicht so sehr darauf an, was man sagt, sondern wie man es sagt.

Als Beispiel soll mir hier ein Tweet von Sebastian Nerz dienen, der von den Medien aufgegriffen wurde:

„Er hat nichts – aber auch absolut gar nichts – verstanden. NULL. NADA. NICHTS. Das ist unglaublich. Einfach nur *gar nichts*. Krass.“

(Twitter)

Diese Aussage ist, in meinen Augen, zweierlei. Zum eine absolut valide Aussage: Johannes Ponader hat auf die Rücktritte im Vorstand, die seiner Person geschultet sind, nach Nerz Ansicht, nicht angemessen reagiert. Zum anderen stellt sie aber auch eine Provokation dar: Nerz wirft Ponader vor, nicht über die geistigen Fähigkeiten zu verfügen, die Situation zu bewerten.

Diese sachlichen Aussagen, die zu einer sinnvollen Diskussionsgrundlage werden könnten, verlieren durch die Vermischung mit emotionaler Aggressivität jede positive Wirkung. Dies passiert im menschlichen Umgang andauert und ist, genau wie der Kampf um Macht und Anerkennung, Teil unserer Natur. Allerdings haben sich die Piraten eine andere Art Politik zu betreiben auf die Fahnen geschrieben. In unserem Grundsatzprogramm spielen Toleranz und Freiheit eine große Rolle. Allen voran die Meinungsfreiheit.

Diese zu gewährleisten ist also, auch im Umgang miteinander, unsere Pflicht. Zensur kann man auch auf andere Weise ausüben, als durch technische Maßnahmen und juristische Maulkörbe. Emotionaler Druck gehört ebenso dazu. Die Herabwürdigung des Gegenübers als Person ist genauso gut dazu geeignet den Gegner mundtot zu machen. Das Verlassen der sachlichen Ebene, um von Inhalten abzulenken, ist einer der ältesten politischen Winkelzüge überhaupt. Je aufgeladener ein Thema ist, desto unzugänglicher werden die Streitenden und desto ferner rückt eine praktische Lösung des Problems … und genau das passiert bei uns am laufenden Meter.

Was hat das jetzt aber mit Ethik zu tun?

Ethik beschreibt den gesellschaftlichen Konsens über Richtlinien, die den Umgang innerhalb der Mitglieder einer Gesellschaft untereinander bestimmen. Ethik ist sehr intuitiv und lässt sich im Grund nicht in Regeln fassen, da sich die Interpretation einer Situation schnell ändern kann. Dennoch hat sich innerhalb unserer Gesellschaft im Laufe der Zeit ein Konsens gebildet, der ein relativ harmonisches Miteinander ermöglicht. Im Internet steht diese Entwicklung noch aus.

Da das Netz aber unser hauptsächlicher Kommunikationsweg ist müssen wir uns wohl oder übel bereits jetzt Gedanken über diesen Punkt machen. Die Netiquette gibt dafür zwar bereits Anhaltspunkte, erfasst aber eher die Formalien der Kommunikation und damit nicht den Kern unseres Problems.

Um besser zu verdeutlichen, worum es mit geht, habe ich einige beispielhafte Richtlinien verfasst, die eine sachliche Geisteshaltung vor dem Verfassen einer Reaktion hervorrufen sollen.

  1. Dein Gegenüber ist ein Mensch wie du. Jeder Mensch verdient ein Mindestmaß an Achtung. Suche zuerst nach einer Verbindung zwischen euch.
  2. Die wenigsten Menschen sind böse oder schlecht. Hinter jeder Handlung steht eine Motivation die im Kern wahrscheinlich gutartig ist. Versuche diese zu erkennen.
  3. Wenn dich eine Sache emotional sehr stark berührt, ergründe die wirklichen Gründe dafür und werde dir dieser gewahr.
  4. Verliere niemals die Sache aus den Augen. Jeder Mensch hat das Recht die Person zu sein, die er oder sie sein möchte. Die Persönlichkeit eines Menschen darf niemals Gegenstand der Diskussion werden.
  5. Argumentiere nur, wenn du Argumente hast. Hast du keine, suche zuerst danach. Bist du von etwas überzeugt und es gibt sachliche Gründe dafür, gibt es auch Argumente.
  6. Erkenne ein Patt. Kannst du dich mit deinem Gegenüber nicht einigen, suche Rat bei einem Dritten.
  7. Achte die Meinung der Mehrheit.
  8. Sachliche Dispute gehören in die Öffentlichkeit, persönliche ins Private. Trenne sie so gut wie möglich.
  9. Seine Meinung zu ändern ist keine Niederlage. Sei aufgeschlossen für die Argumente deines Gegenübers. Akzeptiere die Möglichkeit, dass du dich irrst.

Wenn wir an einen Punkt kommen, an dem diese oder ähnliche Richtlinien die Grundlage unserer Kommunikation bilden, können wir jedes Thema in der Öffentlichkeit diskutieren ohne jemals Gefahr zu laufen uns zu blamieren. Außerdem erhalten sie die Arbeitsfähigkeit der verschiedenen Gremien auch dann, wenn kein Konsens zu einer bestimmten Sache besteht. Es hat dann nämlich keine Auswirkungen auf andere Gebiete, in denen man sich einig ist.

Wenn wir wirklich anders sein wollen, muss die sachliche Arbeit bei uns im Vordergrund stehen. Ideologische Grabenkämpfe machen uns zu dem, was wir nie werden wollten: zu Mitläufern.

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